Am Samstag, dem 20. Februar 2021, führte unser Landesverband des Deutschen Altphilologenverbandes zusammen mit dem Verlag Klett eine digitale Fortbildungsveranstaltung zum Thema „Texterschließung bei der Einstiegslektüre“ durch. Das Interesse an dieser Veranstaltung war sehr groß, vielleicht auch weil der neue NRW-Kernlehrplan Latein für die Sekundarstufe I in Klassenarbeiten neben der Übersetzung und Interpretation Texterschließungsaufgaben verpflichtend vorschreibt. Nach der Begrüßung durch den Verlag Klett und den DAV-NRW hielten Ruth Schaefer-Franke und Asmus Kurig, zwei Fachleiter für Latein aus Berlin, einen gemeinsamen Vortrag zum „textsemantischen Ansatz“.

Sie referierten die lange Tradition der Texterschließung in unseren Fächern, die in einem Aufsatz von Werner Meincke, Handreichungen zu Satz- und Texterschließung  AU 4+5/1993, 69-84, sehr gut zusammengefasst werden, um dann auf Ergebnisse der Leseforschung zu sprechen zu kommen: Während bei deutschen und englischen Texten die Lesegeschwindigkeit zunimmt, weil das Gehirn „parafoveal“ Wahrgenommenes ergänzen kann, ist sie bei lateinischen Texten reduzierter, weil die Worte nicht so schnell ergänzt und in der Bedeutung aufeinander bezogen werden können.

Wie kann man die Lesegeschwindigkeit und damit das Textverständnis erhöhen? Durch Texterschließung: Ein erster Schritt entlastet den Text durch Aufbau einer Erwartungshaltung, Einführung in kulturelle Schemata, Vokabeln und Grammatik. Dann versucht ein zweiter Schritt, den Text durch sinnbetontes Vorlesen und Erschließungsaufgaben zu Semantik und Struktur zu erschließen. Im letzten Schritt paraphrasiert man vor der Übersetzung kleinere Abschnitte. Dies wurde vorgeführt an einem Text von Ogier Ghislain de Busbecq über die Kopfbedeckung der im 16. Jh. in der Türkei lebenden Frauen. Die Erwartung wurde durch die Bilder und Beschreibung von verschiedenen Kopftüchern geweckt, die Erschließung, um welche Bedeckung es im lateinischen Text geht, sollten die Schüler*innen durch Beobachtung der Angaben leisten. Hiernach sollten sie ihre Beobachtung der beteiligten Personen und des Wortes „sehen“ für den Textsinn fruchtbar machen und bestimmte Aussagen zum Text verifizieren oder falsifizieren.

Anschließend beantworteten die Referent*innen die Fragen der Teilnehmenden. Nach einer kurzen Pause sollte es dann in die 20 Workshops gehen, in denen die Teilnehmenden selbst Texterschließungsfragen zu einem weiteren Busbecq-Text stellen sollten. Bis hierhin verlief – bis auf eine leichte Zeitverzögerung – die Fortbildung gut, indem sie die bisherigen Texterschließungsverfahren neu theoretisch begründete und auch ein praktisches Beispiel lieferte, auch wenn man sich sicherlich darüber streiten kann, ob die Begründung in allen Punkten wissenschaftlich stichhaltig und zwingend ist bzw. ob man wirklich Busbecq-Texte mit Schüler*innen lesen möchte.

Eine Kommunikation während der Arbeitsphase und ein Austausch über die Gruppenarbeitsergebnisse wurde leider durch das vom Verlag Klett eingesetzte Videokonferenz-Tool verhindert. Als die Workshops beendet wurden, musste die gesamte Videokonferenz neu aufgesetzt werden. Ergebnisse konnten nur mit Einschränkung referiert und nicht aufeinander bezogen werden.

Die anschließende Chatrunde zeigte aber noch einmal ein enormes Interesse der Teilnehmenden am vorgestellten Thema. Für den DAV-NRW ergeben sich folgende Konsequenzen aus der Evaluation dieser Fortbildung: Das Interesse am Thema scheint sehr groß, ist aber noch nicht inhaltlich und praktisch genügend befriedigt. Wenn wir noch einmal eine digitale Fortbildung anbieten, muss die Technik dem Ansturm der Interessent*innen gewachsen sein; auch der Praxisanteil sollte höher ausfallen.

Dr. Susanne Aretz für den DAV-NRW